Schwarz und Weiß

Kannst du dir ein Klavier vorstellen, das nur weiße Tasten hat?

Blöde Frage, ich weiß. Für die Musik benötigen wir die weißen Tasten ebenso wie die schwarzen.


Während ich diese Zeilen schreibe sitze ich im ICE quer durch Deutschland und blende meine Umgebung mit Instrumentalmusik aus. Und auch da merke ich einmal mehr, wie wichtig es ist, dass es verschiedene Tonarten gibt. Würde alles nur in der gleichen heiter-fröhlichen Tonart gespielt werden, so wäre ich vermutlich der Musik schon längst überdrüssig. Aber durch den Wechsel verschiedener Tonarten, mal Dur mal Moll, mal schnell und lustig mal langsam und melancholisch, weiß ich die einzelnen Stücke umso mehr in ihrem Kontrast zu schätzen.


Ähnlich ist es im Leben. Immer wieder werde ich gefragt, warum es denn im Leben nicht nur schön sein kann. Nun, wir lernen oft die schönen Momente erst dann kennen, wenn wir sie im Kontrast zu schwierigen oder weniger schönen Zeiten sehen können. Wenn immer alles nur gut und positiv ist, dann wird dies nicht nur langweilig, sondern wir haben irgendwann auch kein Gespür mehr dafür, wie gut es uns eigentlich geht. Stell dir einmal vor, es gibt keine Nacht. Woher würdest du dann wissen, wie schön es ist, wenn die Sonne aufgeht?


Wie unser Herzschlag durch ein auf und ab anzeigt, dass wir leben, wäre eine gleichmäßige Linie für uns der Tod.

Und noch ein Gedanke möchte ich dir mitgeben. Aus meiner Sicht sind Musikstücke, die in Moll geschrieben sind und eher melancholisch-getragen sind die Stücke, die mehr Tiefe haben. Ich liebe lustige und leichte Musik. Sie hebt die Stimmung, baut mich an schweren Tagen auf und macht einfach gute Laune. Aber um in die Tiefe zu kommen taugen sie nicht unbedingt. Auch wenn ich über etwas nachdenken möchte, brauche ich eher die tiefen, schweren Lieder. Diese sind dann wie ein Wegbegleiter zu mir und meinen Gedanken. Das heißt aber dann auch, wenn es diese Moll-Situationen und -Stücke nicht gäbe, dann würde unserem Leben vermutlich ein ganzes Stück an Tiefe fehlen. Wir entwickeln uns vor allem in schwierigen Situationen weiter und erkennen mit jedem Hindernis, das wir bewältigen, mit jedem Tal, das wir durchschreiten immer mehr, wer wir eigenlicht sind, zu was wir fähig sind und was wir der Welt bieten können.


Wichtig ist, wie in der Musik auch, dass wir eine Abwechslung von weißen und schwarzen Tagen haben. Beim Klavier sind die Tasten fast gleich mäßig verteilt, mit einer höheren Anzahl an weißen Tasten. Zudem sind die weißen Tasten größer. Und hier liegt noch einer der Lerneffekte. Wir haben es in der Hand, wie „groß“ wir unsere schwarzen Tage bauen. Wenn wir sie als einen notwendigen Teil dieses ansehen und es schaffen, uns auf die weißen Tage zu fokussieren, so werden diese mehr Gewicht bekommen und wir werden, wie bei einem Klavier, die schwarzen Tage zwar als Kontrastmittel haben, jedoch sie nur als eben das sehen, was sie sind. Kleine Unterbrechungen der weißen Tasten, um die ganze Klaviatur spielen zu können und die weißen Tasten besser wahrzunehmen.


Und wenn du einen Moll-Tag hast, dann sieh diesen doch einfach mal als eine Einladung, sich wieder mehr mit dir selbst zu beschäftigen und deinem Leben eine neue Tiefe zu geben. Denn wie ein Baum, der sowohl die Wurzeln in die Tiefe braucht wie auch die Krone nach oben in den Himmel, brauchen auch wir sowohl den Kontakt zu uns und eine Tiefe, als auch das Streben nach oben, die Luft und die Leichtigkeit.
Und mit diesen Überlegungen werde ich nun schließen und die Musik genießen, während die Landschaft an mir vorbeifliegt, meine Gedanken schweifen lassen und schauen, wo diese mich hinführen.

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