Das Leben musizieren

Ich unterscheide zwischen Menschen, die Musik machen und solchen, die musizieren. Musik machen heißt für mich in diesem Fall, sein Instrument zu beherrschen und auch das jeweilige Musikstück technisch perfekt zu spielen. Allerdings bleibt es beim Musik machen eben auf dieser technischen Ebene. Es ist keine Leidenschaft dahinter. Beim musizieren jedoch lebt man quasi das Stück, das man gerade spielt. Man gibt ihm gewissermaßen eine Seele. Und das ist dann Musik, die auch die Zuhörer in ihren Emotionen berührt. Man gibt gewissermaßen etwas von sich selbst in die Musik.
Das Spannende ist, dass beim musizieren oft weniger auffällt, wenn mal ein Ton nicht getroffen wird oder sonst ein Fehler unterläuft. Denn die Emotion und die Leidenschaft, die durch diese Form der Musik vermittelt werden machen gewissermaßen Taub für solche kleinen Patzer. Man hört das Wesen des Stücks und nicht mehr die Noten als solche.


Trotz langem Überlegen ist mir keine passende Wort-Analogie für das Leben eingefallen. Schade eigentlich, denn hier gibt es genau den gleichen Effekt. Vielleicht könnte man noch am ehesten von leben und lebendig sein sprechen. Es gibt Menschen, die leben ein technisch perfektes Leben. Sie haben den perfekten Job, das perfekte Privatleben, alles ist rein von der Durchführung her sauber und einwandfrei. Aber irgendwie fehlt diesem Leben die Seele, es fühlt sich kalt an, wenn ich als Außenstehender mit solchen Menschen in Kontakt komme. Diese Menschen leben oder, um in dem Musikbeispiel zu bleiben, machen Musik.


Im Gegensatz dazu gibt es Menschen, die musizieren ihr Leben quasi. Sie sind lebendig. Da ist die Ebene der Emotion mit dabei und durchdringt alle Bereiche ihres Lebens. Dadurch wird es intensiv – für die, die es leben genauso wie für die, die als Außenstehende damit berührt werden. Vermutlich machen diese Menschen mehr Fehler, straucheln öfter in ihrem Leben oder „verspielen“ sich. Aber da auch hier das Wesen des Lebens das ist, was zählt, trägt das Leben sich selbst. In dem Fall bin ich nicht mehr auf die Perfektion meines Vorgehens und meines äußeren Scheins angewiesen, denn mein Leben ist mehr als die Vollkommenheit meiner Handlungen oder mehr als mein Status, den ich nach außen aufrechterhalte. Vielleicht ist es gerade dieser Mut, sich selbst Schwächen und Fehler einzugestehen das, was das musizieren bzw. das lebendig sein ausmacht.


Menschen, die Musik machen, sind zum Glück sehr selten. Da sie keine Leidenschaft für die Musik entwickeln, geben die meisten das Spielen irgendwann auf und suchen sich ein anderes Hobby, das sie mehr erfüllt. Hier ist es vermutlich auch ein Segen, dass man mit Musik in der Regel nicht leicht Geld verdienen kann. Manchmal kommt es auch vor, dass man vom musizieren zum Musik machen kommt. Ich habe das immer wieder bei berühmten Bands oder Sängern gedacht. Manchmal geht die Leidenschaft mit dem Erfolg verloren und wenn man manche Stücke aus den Anfangstagen einiger Musiker oder Bands anhört und heutige Stücke hat man das Gefühl, dass das nicht die gleiche Band ist.


Im Gegensatz dazu gibt es leider mehr Menschen, die leben und nicht lebendig sind. Sie haben, wie die Musiker, vielleicht ihre Leidenschaft durch ihren Erfolg verloren. Oder sie leben ein Leben, das von ihnen erwartet wird, jedoch nicht dem entspricht, wie sie leben würden, wenn sie sich die Freiheit nehmen würden, mehr nach ihrer Leidenschaft zu leben.

Gründe dafür, nicht lebendig zu sein gibt es sicherlich viele. Sich für ein lebendiges Leben zu entscheiden hat jedoch nur einen Grund:
wir haben nur dieses eine Leben! Und ich glaube es gibt nichts Schlimmeres, als am Ende des Lebens festzustellen, dass man eigentlich nie gelebt hat. Und mehr musizierende Menschen würde unsere Welt bunter machen!


Ich weiß, dass es nicht leicht ist, immer zu musizieren und nicht „nur“ Musik zu machen. Aber ich für meinen Teil versuche zumindest, dass die lebendigen Anteile jeden Tag mehr sind als die, in denen ich lebe. Dadurch, das ich bewusst jeden Tag darauf achte, gelingt mir das auch immer öfter. Und es lohnt sich, denn die Qualität des Lebens steigert sich in meinen Augen dadurch enorm.

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